Handarbeit ist und bleibt die Basis der Kunst. An ihrem Anfang stand kein abstrakter Geistesblitz, kein magisches Urwort, sondern die gestalterische Auseinandersetzung des Menschen mit den Bedingungen seines Daseins. Die ersten Künstler machten sich ein Bild von dem, was ihnen am nächsten war. Sie formten Symbole für den eigenen Körper, für dessen Entstehen, für dessen Lebensbedürfnisse, für dessen Gefährdungen und für dessen Vergehen. Das künstlerische Thema Mensch ist also gewiss eine uralte Geschichte, die älteste überhaupt. Dass sie dennoch ewig neu ist, zeigt das Werk des Bildhauers Clemens Heinl. Seine beeindruckenden Skulpturen aus bemaltem Holz und aus Bronze veranschaulichen, dass der Mensch dem MitMenschen das Vertrauteste ist, aber zugleich auch das Geheimnisvollste.
Clemens Heinl ist ein Macher, sein Menschenbild ist stets frei von intellektueller Überfrachtung, frei von Pathos und Sentimentalität. Nüchtern und sachlich begibt sich der Künstler seit Jahrzehnten immer wieder auf die Suche nach dem Wesentlichen im Individuellen und nach dem, was als zeitlos typisch für die menschliche Art in ihrer Gesamtheit gelten kann. Überdies sind Heinls Menschenfiguren oft eindeutig geprägt von den sozialen Verhältnissen, in denen sie leben. Männer, Frauen, Alte, Junge sind konkrete Menschen mit allem, was dazu gehört, mit allen möglichen Stärken und Schwächen, Ecken und Kanten.
Die gesellschaftliche Realität hat das Wesen der von Heinl porträtierten Menschen im Sinne eines quasi spätbürgerlichen Konformismus verformt, der sich an einer in aller Regel sehr zurückhaltenden Mimik und Körpersprache sowie an einer überwiegend konventionellen Bekleidung ablesen lässt. Das ist bei Heinl nicht irgendwie kritisch gemeint, Gesellschaftskritik ist ihm viel zu kopflastig. Die Wurzel seines Tuns, die Antriebskraft seiner Kreativität ist ausschließlich ein redlicher Realismus. Er formt, was er sieht: Menschen eines gänzlich unheroischen Zeitalters. Nicht einmal die Spieler der deutschen Fußball-Nationalmannschaft sind bei Heinl echte Helden. Vor einigen Jahren porträtierte sie Heinl als „Menschen wie du und ich“.
Direkt und unvermittelt verarbeitet Clemens Heinl seine Erfahrungen und vor allem seine Seherlebnisse. Sein Menschenbild ist sozusagen rundum „normal“. Diese demonstrative Normalität hat nicht mit Harmlosigkeit zu tun, wohl aber mit dem Bedürfnis des
Künstlers, eine möglichst allgemein verständliche Kunst zu machen. Seine Skulpturen sollen als Porträts von allerlei Zeitgenossen erkennbar sein. Das heißt, sie sind auch bildliche Zeugen einer in vielerlei Hinsicht krisenhaften Gegenwart. Dass die Figuren sichtbar von jener Gegenwart gezeichnet sind, erleichtert es dem Kunst-Betrachter, sich mit ihnen zu identifizieren.
Der Künstler sieht sich selbst als Chronisten. Das bezieht sich auch auf eine von ihm (bewusst oder nicht) als die Grundstimmung unserer Zeit dokumentierte Melancholie. Heinls Bildhauerei wirkt in ihrer Gesamtheit wie eine Warnung vor drohenden Verlusten: Verlust von Natürlichkeit, Verlust von Unverwechselbarkeit, von Heimat und Geborgenheit. Seine bloße Existenz macht aus Heinls Werk aber gleichermaßen auch eine Manifestation der Hoffnung auf ein Bewahren und ein Neubeginnen. Trotz alledem.
Bernd Zachow